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Es ist gesund ... -

Vortrag zur Eröffnung der Ausstellung von Wolfgang Schwarz
im Christl. Krankenhaus Quakenbrück am 04.09.2005

von Rudolf Süsske

 

download als pdf-DateiWolfgang Schwarz gehört zu den interessanten Doppelexistenzen, die sowohl Arzt – Facharzt für Neurologie – als auch bildende Künstler sind. Er lebt mit seiner Familie in Oldenburg und ich hatte die Freude, mit ihm eine zeitlang in unserem Krankenhaus, in der Abt. für Psychotherapeutische Medizin, zusammen-zuarbeiten.

Wolfgang Schwarz bat mich nun, mit einigen einführenden Worten seine Installation "Es ist gesund …" vorzustellen. Dies bedeutet für mich eine Ehre und Herausforderung zugleich. Aber ich dachte mir: "es ist gesund, etwas zu wagen".

Kunst läßt sich nicht auf den Begriff bringen, man kann sie mit Worten nur umkreisen. Wahrnehmungseindruck und Sprache stehen nicht im Verhältnis eindeutiger Stellvertretung, sondern eher in einem der freien Übersetzung. So will ich Ihnen hier nur meine Gedanken und Assoziationen schildern, eine Anregung, nachher selbst der Augenlust und dem Interpretationsspiel zu frönen.

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Was sehen wir? – Sechs Metallplatten, deren Schwere von je 48kg ihnen kaum anzusehen ist. Die Leichtigkeit klarer Grundfarben – blau, rot, gelb – suggeriert eine entsprechende Leichtigkeit des Materials. Die aufgeklebten Plastikbuchstaben kommen ebenso leicht daher, könnten einer überdimensionalen Spielkiste entstammen. Auch sie in klaren Grundfarben. Mit der unterschiedlichen Färbung der Buchstaben entstehen flächige Elemente, die zu Interpretationen bzw. Assoziationen herausfordern. Damit stehen sie in einer Konkurrenz zum möglichen Sinn der Buchstabenreihen.

Doch die Buchstaben muß man nicht sofort erkennen. Als ich vorgestern erstmals die Installation im Halbdunkel sah, drängte sich nur der Eindruck von etwas Mosaikhaftem auf. Es hätte auch die überdimensional gepixelte Vergrößerung einer Detailaufnahme des menschlichen Gehirns sein können. Sie werden vielleicht etwas ganz anderes assoziieren, das hängt von unseren Seherfahrungen ab. Auch unsere Sehgewohnheiten haben eine Geschichte.

Erst auf den zweiten Blick entdeckte ich die Buchstaben. Dem folgte natürlich die Frage: Was heißt das denn? Die Worte, den Sinn müssen wir erst entziffern. Es gibt keine Leerzeichen. In dieser Differenzerfahrung zu gewöhnlichen Texten werden wir gewahr, wie gestalthaft wir Worte wahrnehmen, nicht Buchstabe für Buchstabe, sondern im Nu. Wechseln die Farben der Buchstaben so zögern wir, verspüren die vorhin angesprochene Konkurrenz der Sinndimensionen, dh. die Buchstaben gehören in zweierlei Ordnungen und die BetrachterInnen entscheiden qua Abschattung, worauf sie sich konzentrieren: die farbig-flächigen Elemente oder den möglichen Sinn der Buchstabenreihe.

Doch nicht nur das Sehen und der Intellekt treten in Resonanz zum Werk. Seine Reliefstruktur läßt es in den Händen kribbeln. Man möchte die Buchstaben anfassen, Vorder- und Hintergrund – im wörtlichen Sinne – be-greifen.

Unser Blick richtet sich nun auf eine Zeile: "es ist gesundzeit… gesundzeit? Nein: "es ist gesund, Zeit zu verbringen". Nur durch eine adäquate Scheidung trennen wir Sinn von Unsinn. Aber manchmal macht es Spaß, dem Unsinn einfach mal hörend nachzugehen. Manchen Archäologen muß es bei der Entzifferung alter Schriften ähnlich ergangen sein.

Mit der Archäologie wähne ich mich plötzlich in vergangenen Zeiten und doch kommen Form, Farbe und Texte der Installation eher wie Werbeflächen daher – wiederum eine bemerkenswerte, werkimmanente Spannung.

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Immer mehr Sätze treten aus der Buchstabenfolge hervor:

es ist gesund zu sein

es ist gesund sich selbst zu vergessen

es ist gesund Stimmen zu hören

etc.

Viele werden Zu-, andere Widerspruch finden, manche muten irritierend an.  Wolfgang Schwarz hat zwei Jahre solche Sätze wie ein Ethnograph einfach nur gesammelt, ohne Wertung, ohne Validierung durch den Medizinischen Dienst. Er hat dem Volk auf's Maul geschaut und die Sätze nicht aus einem salutogenetischen Konzept "abgeleitet".

Auf den Metallplatten wiederholen sich die Sätze in der Reihe und brechen am Ende der Platten einfach ab – wie das Ende eines Gesundheits-Werbespots, den man auf dem Weg zur Küche nicht mehr hört. Damit verweist das Werk auf ständige Wiederholung, das Geplapper von Slogans. Reproduzierbarkeit, Austauschbarkeit und Gleich-gültigkeit stehen wiederum in Spannung zum Werk selbst, das ein Unikat, ein unverwechselbares Einzelnes ist.

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es ist gesund zu sein

Es ist gesund unterwegs zu sein

Es ist gesund Farbe zu bekennen

Jeder Satz könnte eine Geschichte, könnte mehrere Geschichten erzählen. Geschichten, die sich in ihren Köpfen befinden, auf die Sie aber ohne Resonanz mit dem Werk nicht so einfach kämen. Ich selbst suchte geradezu nach dem Satz: "es ist gesund, zu sein". In seiner Abstraktheit und vermeintlichen Wahrheit treibt er die Gedanken weiter: was heißt es zu "sein"? Kommt es – für uns leiblich-endliche Wesen – nicht immer auf die bestimmte Form an. Gibt es nicht auch die Last zu sein, die den Fürsten Oblomow in Gontscharovs gleichnamigen Roman so plagte?

Kann ich die Sätze eigentlich so apodiktisch, frei von Einschränkungen stehen lassen? Und schon stürmt – statt des "es ist gesund" – ein anderes Wort in den Assoziationsraum, das Wort Kohelets, des Predigers: "alles hat seine Zeit" – "Geboren werden hat seine Zeit und Sterben hat seine Zeit" (Koh 3,2).

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Waren wir mit den Assoziationen des Werbespots und der technischen Reproduzierbarkeit gerade noch bei den Versprechungen der Gesundheitsindustrie, so befinden wir uns nun in einer ganz anderen Dimension. Ich nehme diese Spannung zu Anlaß, einen Schritt zurückzutreten.

Wo ist die Ausstellung hier situiert? Zwischen eigentlichem Krankenhaustrakt und Kapelle, also zwischen Gesund-Machern und Gesund-Betern? In dieser Gegenüberstellung sicher eine fragwürdige Alternative, möglicherweise gar keine Alternative, sondern nur die Differenz im Anspruch technischer oder magischer Erzwingung von Heilung. Angemessener formuliert gemahnt uns der Ort, an dem wir uns hier befinden [Kapelle "Arche"] an die Grenzen unserer medizinischen und therapeutischen Möglichkeiten und – für einige wenigstens auch – an eine Vertrauensbeziehung, die jenseits aller Menschenmöglichkeit gründet.

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Doch lassen Sie uns wieder zu "es ist gesund..." zurückkehren. Der Spötter Lichtenberg notierte einmal: Das Gefühl von Gesundheit erwirbt man sich nur durch Krankheit. Oder wie es in einem deutschen Sprichwort heißt: Gesundheit schätzt man erst, wenn man krank wird.

Trivial – werden Sie sagen, aber wie häufig vergessen wir dies im alltäglichen Leben.

Die Gesundheit ist wirklich ein eigentümliches Phänomen. Diese Eigentümlichkeit teilt sie mit dem Leib – beide bleiben gewöhnlicherweise im Verborgenen, um eine Formulierung Hans-Georg Gadamers aufzugreifen.

Der französische Arzt René Lériche sprach einmal davon: Gesundheit sei das Leben im Schweigen der Organe. Organ schreibt sich griechisch von organon = Werkzeug her, Werkzeuge dienen einem Handlungsvollzug, einem Ziel und unsere Aufmerksamkeit liegt ganz beim Vollzug. Erst wenn die Zange nicht greift, der Hammerkopf wackelt werden wir auf die Werzeuge aufmerksam.

Was nehme ich z.B. von Füßen wahr, wenn ich flugs zum Bahnhof laufe? Sie brechen jedoch ihr Schweigen, wenn ich über eine Bordsteinkante stolpere. Dann bin ich ganz im Hier und Jetzt und es schmerzt. Oder denken Sie an das Alter: Die Leichtigkeit des Seins des jugendlichen Leibes schwindet, der Leib wird in seiner brüchigen Substanzhaftigkeit spürbar, eine Arthrose z.B. läßt sie alle an einer Bewegung beteiligten Knochen spüren. Herbert Plügge und Jean Améry haben diese Phänomene auf ganz einfühlsam-präzise Weise beschrieben.

Zwischen schmerzhaftem Melden und dem Schweigen gibt es Zwischenstufen, ein Raunen vielleicht, wie z.B. mein Nystagmus, ein Augenzittern, das meine sichtbare Welt ins Schwingen, manchmal sekundenbruchteilhaft auch zum Verschwinden bringt. Eine Einschränkung, die geradezu zum Interesse an der Philosophie motiviert.   

Ja – die Einschränkung von Gesundheit bedeutet nicht einfach, erkrankt zu sein. Man fragt zwar oft "Was fehlt Dir?", aber es geht nicht einfach um einen Mangel, die Abwesenheit eines Elements innerhalb eines unveränderten Ganzen. Das Ganze, die Selbst- und Weltwahrnehmung, ggf. auch die Lebensentwürfe geraten in eine Krise und wandeln sich manchmal dauerhaft.

Gesundheit und Krankheit bilden ein Kontinuum, keine dichotomen Gegensätze. Schon vor über hundert Jahren schrieb Friedrich Nietzsche:

"Gesundheit und Krankheit sind nichts wesentlich Verschiedenes (…). Man muß nicht distinkte Prinzipien oder Entitäten daraus machen, die sich um den lebenden Organismus streiten und aus ihm ihren Kampfplatz machen. (…) Tatsächlich gibt es zwischen diesen beiden Arten des Daseins nur Gradunterschiede: die Übertreibung, (…), die Nicht-Harmonie der normalen Phänomene konstituieren den krankhaften Zustand ..." [1]

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Es ist gesund unterwegs zu sein

Es ist gesund Farbe zu bekennen

Es ist gesund Krieg zu verurteilen

Es ist gesund einen Drachen zu töten

Es ist gesund zu warten

Es ist gesund sich im Zaum zu halten
(…)

Was mir bei Wolfgangs Sammlung auffiel: die Sätze enthalten selten Einschränkungen – eine Ausnahme: Es ist gesund bisweilen ungesund zu leben. Aber sie widersprechen einander:

Es ist gesund sich im Zaum zu halten

Es ist gesund die Fassung zu verlieren

Wieder möchte ich – in freier Variation – an Kohelet denken:

Langmut hat seine Zeit; Zürnen hat seine Zeit.

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Grundsätzlichere Fragen drängten sich mir auf: Ist es eigentlich nur eine biografisch motivierte Wahl – naheliegend für einen Arzt –, Gesundheit zum Thema zu machen?

Könnte ich nicht sagen?

Es ist gut sich im Zaum zu halten

Es ist gut die Fassung zu verlieren

Oder könnte ich die Sätze nicht in Gebote umformulieren?

Du sollst Farbe bekennen

Du sollst Krieg verurteilen

Die alte ethische Frage nach dem "guten Leben" wandelt sich in der Moderne tendenziell zur biopolitischen Frage nach den Bedingungen der  "natürlichen Selbsterhaltung". Dass dem Menschen ein Gesetz der Sittlichkeit innewohnt ist spätestens nach den Zivilisationsbrüchen des 20. Jahrhunderts mehr als fraglich geworden. So wäre in einer völlig säkularisierten Gesellschaft Gesundheit der einzige, aber gänzlich immanente Bezugspunkt für eine – wie ich meine – nur vermeintlich sinnvolle Lebensführung. Und es gab eine Zeit, in der der gesunde deutsche Volkskörper – ideologisch zumindest – im  Mittelpunkt der Aufmerksamkeit stand.

Selbst der Hedonismus heutiger Tendenzen zur Fun-Gesellschaft geht nicht leidenschaftlich aufs Ganze; so wie wiederum Nietzsche einst bemerkte:

"Man hat sein Lüstchen für den Tag und sein Lüstchen für die Nacht: aber man ehrt die Gesundheit. »Wir haben das Glück erfunden« – sagen  die letzten Menschen und blinzeln. –" [2]

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Wie Sie sehen, kann aus dem vergnügten Spiel mit Plastikbuchstaben unvermittelt Ernst werden, wenn man sich auf das Werk einläßt und ggf. eigene Selbstverständlichkeiten in Frage stellt.

Doch nota bene: was ich Ihnen in meinen skizzenhaften Ausführungen hier vorgestellt habe, ist nicht die Aussage, die Interpretation dieser Arbeit von Wolfgang Schwarz, sondern das Ergebnis eines Dialogs zwischen meiner Person und der Installation. Im "Zwischenreich des Dialogs" gibt es keine klar unterscheidbaren Sender und Empfänger, beide Seiten sind affiziert. Versuchen Sie es selbst !!

Sie haben auch die Möglichkeit das Werk zu bereichern. Zwei Platten tragen nur den Anfang der Sätze "es ist gesund..". Nehmen Sie die beiligenden Buchstaben und schreiben Sie ihre eigenen Sätze und machen Sie sich Ihre eigenen Gedanken.

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Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit

 

 


[1] Friedrich Nietzsche: Werke und Briefe: [17]. Friedrich Nietzsche: Werke, S. 9326 (vgl. Nietzsche-W Bd. 3, S. 781) (c) C. Hanser Verlag

[2] Friedrich Nietzsche: Werke und Briefe: Zarathustras Vorrede. Friedrich Nietzsche: Werke, S. 6301 (vgl. Nietz-sche-W Bd. 2, S. 285) (c) C. Hanser Verlag

 

 

 
 

"Es ist gesund ..." - Eröffnungsvortrag zur Ausstellung von Rudolf Süsske

 


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