Das Lied, liebe Gemeinde,
kennen Sie gewiß. „Rheinlegendchen“ heißt es und findet sich
in der Sammlung „ Des Knaben Wunderhorn“. Sein Text lautet so:
Bald gras' ich am Neckar,
Bald gras' ich am Rhein,
Bald hab ich ein Schätzel,
Bald bin ich allein.
Was hilft mir das Grasen
Wenn die Sichel nicht schneid't,
Was hilft mir das Schätzel,
Wenn's bei mir nicht bleibt.
Und soll ich denn grasen
Am Neckar, am Rhein,
So werf' ich mein schönes
Goldringlein hinein.
Es fließet im Neckar,
Es fließet im Rhein,
Soll schwimmen hinunter
Ins tiefe Meer 'nein.
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Und schwimmt es, das Ringlein
So frißt es ein Fisch,
Das Fischlein soll kommen
Auf's Königs sein Tisch.
Der König tät fragen
Wem's Ringlein soll sein?
Da tät mein Schatz sagen:
Das Ringlein g'hört mein.
Mein Schätzel tät springen
Bergaus und bergein,
Tät wied'rum mir bringen
Das Goldringlein fein.
Kannst grasen am Neckar,
Kannst grasen am Rhein,
Wirf du mir nur immer
Dein Ringlein hinein.
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Man gibt also etwas verloren, um etwas Schönes zu bekommen,
ein Ringlein z.B. und den geliebten Menschen dazu. Ein Goldring, seinem Rund
alle Ehre machend, geht auf Reisen und kehrt auf wundersame Weise zum Anfang
zurück: eine Verkettung von schönen Zufällen, die Liebe und die Sehnsucht
wirken das – und wer sonst noch am Werke ist, das oder besser den allerdings
verschweigt uns das Lied.
Das Lied hat so seine Lehre, nämlich die:
Nur wer etwas verloren geben kann, bekommt auch etwas zurück;
nur wer wirklich gibt, ohne darauf zu schielen, was gleich oder auch
später sich wieder bei ihm einstellen wird, dem wird gegeben, der wird beschenkt.
Ganz verwandt sagt es Paulus uns für den heutigen Tag:
„Wer kärglich sät, wird
auch kärglich ernten, wer aber auf Segen hin sät, wird auch im Segen ernten.“
Aller Geiz bringt immer nur Geiz hervor: wer schmallippig und
geizverschlossen auf seinen Gütern hockt, bekommt, was er gibt: nämlich
nichts.
Und wer reichlich gibt, erhält reichlich? Nein, das genau sagt
Paulus nicht. Einem solchen Automatismus redet Paulus
eben nicht das Wort. Wie sollte das auch gehen? Wir wären dann ja Marionettenspieler
und hätten die Fäden der Wirklichkeit in unseren Händen, sie uns nach unserem
Willen zurechtzuziehen.
Paulus hat eine andere Weise zu geben im Blick. Zu geben, ohne
zu verrechnen, was wir für das Gegebene zurückerhalten ;
zu geben und loszulassen, also die Kontrolle aus den Händen zu geben, was
mit unserer Gabe wird; zu geben und zu vertrauen, daß unsere Gabe zum Segen
gereiche.
So säen wir, wie Paulus sagt, auf Segen hin. Wir lassen unsere
Gabe aus den Händen und überlassen sie einem Anderen, wir vertrauen sie G“tt
an.
Wir trauen darauf, daß Er die losen Fäden der Wirklichkeit
liebevoll verknotet und manchesmal auch wieder entwirrt, daß Er die Dinge
und Handlungen verkettet, die uns oft nur zufällig erscheinen, daß Er zurückbringt,
was wir verloren geben – denn G“tt ist es ja, Der alles gibt und überreich
segnet.
Liebe Gemeinde,
ich bin gewiß, Sie alle kennen eine solche Art des Gebens,
sei es z.B. eine Spende für einen guten Zweck, vielleicht auch der Zweck unserer
Kollekten, sei es ein Geschenk im privaten Kreis.
Und wir, die wir so geben, sind von Grund auf erfreut und fröhlich, weil wir
die Gabe letztlich G“tt anvertrauen, Der sie zum Guten gebrauchen wird. Und
wir sind derart fröhlich, weil wir, die wir geben, selbst Beschenkte
sind. Beschenkt nicht nur mit materiellen Gütern, sondern auch mit Fähigkeiten,
Begabungen, kurz mit alldem, mit dem uns G“tt schon im Mutterleib gebildet
hat. Beschenkt von G“tt, geben wir weiter, was wir empfangen haben. Und G“tt
läßt den Segen unseres Tuns auf uns zurückkehren.
So schließt sich ein Kreislauf, der in G“tt entspringt.
Wir modernen Menschen, noch dazu, wenn wir
- wie z.B. ich - in der Stadt wohnen, sind ja der Kreisläufte entwöhnt.
Wir sind nicht mehr wie früher dem Wechsel und Kreisgang der Jahreszeiten
unterworfen; kleine Fluchten lassen uns im Winter in wärmere Gefielde entkommen;
ein globalisierter Handel stellt uns das ganze Jahr über Obst und Gemüse je
nach Lust und Laune zur Verfügung, sofern wir über den entsprechenden Geldbeutel
verfügen. Unser ganzes Wirtschaften, national wie international, gehorcht
nicht mehr dem Gesetz der natürlichen Kreisläufe, es folgt dem Zwang zur unendlichen
Steigerung.
Und aus dem Bereich der Ökonomie ist das Gesetz des Wachstums
auf nahezu alle anderen Daseinbereiche übergegangen, als gäbe es da gar keine
Alternative.
So wirkt es auch einigermaßen ungleichzeitig und merkwürdig
veraltet, wenn wir zu Erntedank der natürlichen Kreisläufe gedenken, wenn
wir in der aufgegangenen und geernteten Saat bereits den Anfang eines neuen
Säens sehen und auf den Wechsel setzen, daß das zur Neige gehende Alte im
Neuen wieder aufgeht. Nun spricht ja nichts dagegen, auch einmal veraltet
zu denken, im Gegenteil, einer hochnäsigen Gegenwart, die glaubt, im Recht
zu sein, nur weil sie gerade da ist, könnte es guttun, sich von alters her
etwas sagen zu lassen.
Es ist jedoch etwas anderes, was uns abhält, aus dem bloßen
Kreisen der Natur auf G“ttes gnädiges Walten und Wirken schließen zu
wollen.
Wohl unterhält G“tt einen Kreislauf, aber es ist der
Kreislauf des Segens, wohl läßt er Früchte hervorkommen, aber es sind die
Früchte der Gerechtigkeit. Und ohne sie hat es mit den Früchten der Natur und
ihrem immerwährend-verläßlichen Kreisen nichts auf sich.
G“tt schafft sogar eine Gesellschaft des Überflusses, aber
es ist keine der überquellenden materiellen Güter. Wohl sollen alle satt werden
und – wie Paulus sagt – zu Genüge haben, überreich aber wird eine solche Gesellschaft
sein, weil die, die geben, sich vom Grund ihrer Seele her freuen. Weil die,
die empfangen, G“tt Dank sagen und G“tt sich an ihrem Dank freut. Und weil
G“tt den Dank der Armen als Segen zurückbringt über die, welche besitzen.
Besitz, Wohlstand: Gaben G“ttes sind sie; die, die besitzen,
also wir alle hier, sollten das nie vergessen. Und auch das haben wir zu hören:
Besitz, der festgehalten und nur um seiner selbst willen vermehrt wird, ist
in G“ttes Augen kein Gut. Wenn aber das, was wir, die wir mehr haben, schon
unterwegs ist zu denen, die weniger, zu wenig haben, dann wird „der Herr,
dein G“tt, dich bei aller Arbeit deiner Hände segne (n), die du tust“ – so
haben wir es vorhin in der ersten Lesung aus dem
5. Buch Mose gehört. So sind
die, die haben, die mehr haben, angewiesen auf die Ärmeren und Armen. Denn
von diesen her empfangen sie durch G“tt den Segen.
Sehen Sie, liebe Gemeinde, weshalb Jesus die Armen seligpreisen
kann?
Sie sind selig, weil von ihnen her der Segen kommt.
Ganz offensichtlich leben wir in einer Überflußgesellschaft.
Aber in einer solchen, in der so genau das Gegenteil von dem herrscht, was
Paulus und mit ihm die ganze biblische Tradition unter der Gerechtigkeit
G“ttes verstehen.
Nicht vom Besitzenden zum Besitzlosen, nicht vom Reichen zum
Armen fließen die Güter, vielmehr seit vielen Jahren herrscht eine Umverteilung
von unten nach oben. In den USA z.B. besitzt eine kleine superreiche Schicht
weit mehr als breite Unterschichten zusammen, in Europa und auch in unserem
Land geht die Schere zwischen arm und reich immer weiter auseinander. Und
nicht erst seit Jahren, sondern schon seit Jahrzehnten verschlechtern sich
die sog. „terms of trade“, die Handelsbedingungen zwischen der Ersten und
der Dritten und Vierten Welt, so daß die armen Länder immer ärmer werden.
Ihre Schulden sind so erdrückend, daß allein die zurückzuzahlenden Zinsen
der Schulden das bißchen dessen, das sie erwirtschaften können, wieder auffressen.
Schuldenerlasse, wie der gerade wieder beschlossene des Internationalen Währungsfonds,
sind völlig ungenügend – zum Leben zu wenig, zum Sterben zu viel, auf dieser
inhumanen Grenze hat sich das Wirtschaftsgebaren der reichen gegenüber den
armen Ländern eingependelt.
Wie unüberbrückbar weit entfernt ist das Wirtschaftssystem
unserer reichen Industrienationen von dem, was Paulus jubeln läßt:
„Er hat ausgestreut, er hat den
Armen gegeben; seine Gerechtigkeit bleibt in Ewigkeit“
(Ps 112, 9).
So aber: unser Wirtschaften, das Reichtum anhäuft und Armut
ausbreitet und dem wir so alternativlos glauben folgen zu müssen, es mag ja
ertragreich und erfolgreich sein, G“ttes Segen jedoch ruht nicht auf ihm.
Frisch duften die Zweige, die auf dem Lamellendach ruhen, und
gut riecht das Holz der Wände. Ich sitze in einer Hütte, einer Sukka – wie
es hebr. heißt – denn es ist Sukkoth, das jüdische Laubhüttenfest, und ich
bin eine der nichtjüdischen Gäste, die sich zum Mitfeiern dort im Innenhof
der Kölner Synagoge versammelt haben. Die Hütte ist festlich geschmückt, viele
Kinder haben mitgetan, sie zu verschönern: mit bunten Papierstreifen und Girlanden,
Segensworten und Glückwünschen – aufgemalt und aufgeklebt.
Zwischen den Zweigen befestigt oder vom Dach herabhängend,
ist die Hütte auch durch allerlei Obst und Gemüse bereichert: Bananen, Weintrauben,
Orangen und Paprika sehe ich. Direkt vor meiner Nase baumelt eine tiefrote
Paprika. Die Früchte versinnbildlichen, daß das Laubhüttenfest auch ein Erntedankfest
ist, an welchem Israel G“tt für eine segensreiche Ernte dankt.
Aber das ist nicht der hauptsächliche Grund dieses Festes,
das seinen Namen ja auch der Hütte, der Laubhütte verdankt. Gerade für die
Zeit, in der eine gute Ernte in Besitzstolz und Selbstüberhebung ausschlagen
könnte, gerade dahinein gebietet G“tt Seinem Volk:
„Zieh für sieben Tage aus Deinem sicheren Hause aus, vertausche
Dein bequemes und sicheres Zuhause mit einer provisorischen Behausung, die
dem Wind und den Launen des Wetters preisgegeben ist.
Iß und schlafe in einer Hütte, mit dünnen Wänden, gerade dick
genug, um dich vor dem Gröbsten zu schützen, aber nicht dick genug, den anderen,
die anderen auszusperren, nicht kompakt genug, um gegen das Los deines Nächsten
unempfindlich zu sein. Lade Dir Gäste ein, bewirte sie, vor allem die, noch
weniger als eine Hütte ihr eigen nennen. Erinnere
dich, wenn du des Nachts durch die Zweige des Daches zum sternbesäten Himmel
hinaufblickst, daß Ich es war, Der dich trug und durch die Wüste führte - daß du vom Himmel trankst und aßest und Ich allein
dich nährte. Erinnere dich und geh wieder zurück in die Zeit, da du so arm
und doch so reich warst. Denn du hattest nichts, nur Mich.
Nimm diese Erfahrung in deinen Alltag hinein und unterbrich
deinen Wohlstand, alle Jahre wieder zur Zeit der
Ernte, für sieben volle Tage und Nächte. Sei fröhlich alle Tage dieses Festes,
freue dich vor Mir zusammen mit allen anderen, die weniger als du haben und
auf deine Stärke angewiesen sind.
Erfreue Mich und gib´ ihnen von Meinen Gaben, auf daß Ich dein
Tun segne.“
Und wir Christinnen und Christen?
Auch wir sind zu einem Fest der Freude geladen, auch wir unterbrechen
unseren Alltag und feiern Gemeinschaft – jenseits der Unterschiede und Ungleichheiten,
die uns voneinander scheiden können: die Schwachen von den Starken, die Armen
und Ärmeren von den Reichen und Begüterten. Wir tun das mit jedem Abendmahl,
denn wir vollziehen im gemeinsamen Mahl G“ttes Gerechtigkeit der Güterteilung.
Jeder und jede erhält die gleichen Güter, das Brot und den Wein, und jede
und jeder empfängt gleich viel. Ein Segen ist das.
Ein Segen, mit dem uns G“tt segnet – ein Segen, Den Er uns
aus Seinem Volk Israel bringt. Wir nennen ihn Jesus Christus, unseren Herrn.
Amen.