R.S. - Sind wir Freunde Hiobs ?
Exegetische & psychotherapeutische 
Assoziationen zum 'Buch Hiob'
*

Rudolf Süsske
Dipl.-Psych./ Psychol. Psychotherapeut

cover: R.Moshe Alshich - A Celestial Challenge

Unser Thema Nachdenken über Hiob möchte ich wörtlich nehmen und Sie zu einigen Assoziationen beim Lesen des Hiob-Buches einladen.
Ich betrachte diese Überlegungen als Vorarbeit auf dem Wege zu dem ursprünglich ansetzen Thema einer Verhältnis- bestimmung von Psychotherapie & Seelsorge. Mehr kann ich hier und heute leider nicht vorlegen, aber auch nicht weniger.

Was fällt uns ein, wenn wir den Namen HIOB hören? Der Ausdruck 'Hiobsbotschaft' ist selbst denen geläufig, die der Bibel sehr fern stehen. Aber wir denken auch an den ergebenen Dulder und den, der mit G'tt hadert. Ein zu lösender Widerspruch? 

Viele Exegeten vermeinen, den Widerspruch zu 'lösen', indem sie die volkstümliche Rahmenerzählung mit dem 'demütigen, leidenden Gerechten' vom Dialogteil (Hi 3,1 - 42,6) trennen, wie überhaupt die generelle Tendenz besteht, Brüche, Wiederholungen, fehlende Anknüpfungen und mögliche Auslassungen mit Veränderungen des Textbestandes zu beantworten. Doch war der Autor wirklich so fahrlässig oder die Überlieferung eine von Schreibfehlern?
In Abwandlung des Wortes eines Philosophen aus dem 19.Jahrhundert halten wir dagegen: "Die kritischen Exegeten haben die Bibeltexte nur verschieden verändert, es kömmt drauf an, sie zu interpretieren".
1)

Im psychotherapeutischen Gespräch geht es uns auch darum, die Geschichte, die Lebensgeschichte dieses einen Menschen – in all ihren Brüchen, Widersprüchen und Traumata - zu verstehen. Die Kunst des Verstehens, des Auslegens von erzählter und aufgeschriebener / literarischer Geschichten nennen wir Hermeneutik.

Michael Balint – ein auch Ihnen sicherlich bekannter Psychoanalytiker – fordert uns auf, die PatientInnen wie ein Kunstwerk, dh. in ihrer Einmaligkeit zu betrachten. Die Person vor uns sollte mehr / anderes sein als ein "Fall", ein Exempel für die Anwendung von technisch-gesetzesförmig verfaßten Interventionen. Angesichts von 'Fallpauschalen' und einer Anthropologie des 'Problemlösens' ein arg schwieriges Unterfangen.

Wir sind schon zuweit gegangen; lassen Sie uns zu Hiob-Text zurückkehren. Das Problem des Verstehens beginnt bereits in der alleresten Begegnung: Wir lesen:


Isch haja be-eretz-utz; Ijow schmo

Ohne Vorbereitung wäre auch ich be-fremdet. Der gerade noch mehr oder weniger vertraute Text entfernt sich unserem Verständnis. Bei genauerem Hinsehen geraten die Dimensionen vertraut / fremd, nah / fern jedoch ins Schwimmen. Was unserem Verstehen nahe war, ist eine Übersetzung und jede – für uns oftmals notwendige - Übersetzung ist bereits eine Interpretation, eine Bearbeitung.

In einer etwas gewagten Analogie könnte man sagen: Wir begegenen dem Patienten häufig zuerst 'nach Aktenlage', dh. Einweisungsdiagnose, Ambulanzbericht etc. Eine Begegnung mit Vor-Urteilen? – Ja, aber solchen, die wir oft nicht – im Sinne des Positivismus – beseitigen können, jedoch reflektieren / bedenken sollten.

So lesen wir hier mit der Hilfe Martin Bubers noch einmal: (isch) ein Mann (haja) war (be-eretz-utz) im Lande Uz (Ijow) Ijow = Hiob [Luther] (schmo) sein Name.

Wer war dieser Hiob? Wann hat er gelebt, hat er überhaupt gelebt? Wer hat wann seine oder die Geschichte aufgeschrieben?

Zum Autor wissen wir kaum etwas: im 4. oder 5. Jahrhundert v.u.Zr. soll er gelebt haben. In der Tradition hält sich auch die Meinung, Moshe Rabeinu – unser Lehrer Mose – selbst habe das Buch geschrieben. Historisch sicherlich nicht haltbar, zeugt diese Ansicht jedoch von der hohen Achtung, die dem Text zuerkannt wird. 

Wann lebte dieser Hiob? Wir wissen es nicht: einige sagen zur Zeit Abrahams, dann wieder soll er die Tochter Jakobs geheiratet haben; wir finden ihn wieder in der Nähe Moses', Samsons oder Salomos; wieder andere entdecken ihn in der babylonischen Gefangenschaft. Im Talmud 2) heißt es, er habe nie gelebt, er sei ein 'maschal', dh. etwa: ein Gleichnis, eine Erzählung, eine Dichtung. Paradox formuliert es Elie Wiesel: "Hiob hat niemals gelebt, aber er hat sehr wohl gelitten" 3).

Die meisten Interpreten nehmen an, er war kein Jude, aber er gehörte wohl zu den "Gerechten der Völker", vielleicht sogar zu den verborgenen "36 Gerechten", auf denen der Bestand der Welt ruht 4)

Hiob war aufrichtig, g'ttesfürchtig und wohlhabend. In der Gemeinschaft genoß er Ansehen und übernahm soziale Verantwortung. Seine Kinder schienen eher dem Wohlleben zugetan, feierten Feste, so daß sich Hiob sorgte, sie könnten gesündigt "und Gotte in ihrem Herzen abgesegnet" haben (Hi 1,5). Im Original steht behutsam "segnen", gemeint ist aber "verfluchten". Buber bedient sich hier mit der Übersetzung "absegnen" einer Art Verdichtung, dh. nutzt bewußt & kreativ einen sonst zumeist unbewußten Mechanismus.

Diesen Mann Hiob treffen dann unvorbereitet 'Botschaften', die ihm den Verlust seines Wohlstandes und den Tod seiner Kinder mitteilen. Es geht dabei Schlag auf Schlag: 

"Noch redete der (eine Bote), war schon der nächste gekommen und sprach: ..." (Hi 1,16).

Die sich in der wörtlichen Wiederholung ausdrückende Atemlosigkeit der Boten-Rede endet stets in der Formulierung: 

"Und ich allein bin entronnen, um es dir zu melden"
(Hi 1,15.16.17.18.) 

Diesen Worten der Boten eine allein erzählerische Funktion zuzuschreiben oder sie als Ausdruck einer "grausamen Ironie" (Weiser ATD) zu werten, bleibt vordergründig 5). Hier spricht sich reale jüdische Erfahrung aus. Wie viele Überlebende der Shoa leiden daran, überlebt zu haben. Sie konnten und können nur leben als Zeugen: 'entronnen, um zu erzählen' und uns aufzufordern, zu erinnern und nicht zu vergessen! (Manés Sperber, Elie Wiesel, Primi Levi, Ruth Klüger u.v.a.m)

Hiob zerriß seine Kleider, schor sein Haar und warf sich zur Erde nieder (Hi 1,20) – ein traditionelles Trauerritual. Er hat alles verloren und bringt dies in den Worten zum Ausdruck: 

"Nackt bin ich aus dem Schoß meiner Mutter gekommen, 
und nackt kehre ich wieder dorthin" (Hi 1,21). 

Mit Mutterschoß assoziiert Erde, denn Hiob und auch wir sind als Nachkommen 
adam
ADaMs aus adamah ADaMaH, d h. Erde gemacht (Gen).

Dann sagt er:

"Der Herr hat's gegeben, der Herr hat's genommen, der Name des Herrn sei gelobet" (ebd.).


"Hiob, o Hiob! Sprachst du wirklich nichts anderes als diese ... Worte?"
fragen wir mit Kierkegaard
"Weißt du nichts mehr zu sagen, als was die bestellten Tröster als steife Zeremonienmeister dem Einzelnen vorschreiben, dass es in der Stunde der Not schicklich ist" dieses zu sagen, "so wie man Prost sagt zu dem, der niest" 6).

Doch Hiob, der Leidende, spricht hier aus ungebrochener Frömmigkeit selbst. Beamtete 'Tröster', Freunde oder Angehörige wollen mit solchen Worten oder dem "Das Leben muß doch weitergehen!" eher ihre eigene Hilflosigkeit - angesichts des Leidens - "weg-reden".

Hiob resigniert nicht, die zitierten Worte und das, was er seiner Frau entgegenhält: 

"... das Gute empfangen wir von Gott – und wollen das Böse nicht empfangen?" (Hi 2,10)

sind kein Versinken in die trauerlose Depression, sondern der Auftakt eines "Streitens mit G'tt" – im zwiefachen Sinne dieses Ausdrucks (mit G'tt gegen G'tt, vgl. Hi 19,25f).

Da sitzt er nun, über und über mit Geschwüren behaftet (Hi 2,7f). Er ist sich gewiß, dies kommt von G'tt. Für uns scheint dies – um im Fachjargon zu reden - eine überholte "subjektive Krankheitstheorie". Doch fragen auch uns immer wieder Patienten: "Warum muß mir das geschehen"; "was habe ich verbrochen"; "wie kann Gott dies zulassen". 

Gerade dieser – für die hebräische Bibel bedeutsame - Zusammenhang von gutem Tun und Wohlergehen bzw. frevelhaften Taten und strafenden Konsequenzen wird im Hiobbuch heftigst diskutiert und frag-würdig.

Noch einmal: Da sitzt Hiob nun, über und über mit Geschwüren behaftet (Hi 2,7f). Drei Freunde – Elifas, Bildad und Zofar – hörten davon, reisten an, sahen ihn von Ferne "und erkannten ihn nicht" (Hi 2,12). Und dann diese anrührende Szene:

"Sie [die Freunde) erhoben ihre Stimme und weinten,
sie zerrissen jedermann seinen Kittel
und sprengten Staub über ihren Häuptern himmelwärts.
Sie saßen mit ihm auf der Erde
sieben Tage und sieben Nächte.
Keiner redete [Rede] zu ihm, 
denn sie sahen, daß der Schmerz sehr groß war." (Hi 2,12f)

Welch eine Empathie, welch eine Solidarität bis in die Gesten - kein Weg-reden im vorschnellen Trost, kein voreiliges Erklären und 'Lösen', sondern Sympathie / 'Mit-leiden' im positiven Sinne. Dies ist kein dumpfes Schweigen, vielmehr – wir kennen es aus therapeutischen Gesprächen - eines, das die Angst, den Schmerz, die Trauer, die Verzweiflung, manchmal die Scham mit-trägt und hält. Dabei zerfließen wir aber nicht mit den Gefühlen. 'Halten' meint gerade auch 'einen Halt geben'. Natürlich haben wir dafür heute wissenschaftliche Namen, nennen es 'Holding Function' (Winnicott) und 'Affect Attunement' (Stern). 
In dieses Schweigen hinein öffnet Hiob seinen Mund: 

"Schwinde der Tag, an dem ich geboren ward...
Jener Tag werde Finsternis und Todschatten....
warum fuhr ich aus dem Mutterleibe nicht und verschied"
(Hi 3,3.4.11 ).

Hiob bringt hier mehr bzw. anderes als eine suizidale Phantasie zum Ausdruck; er will nicht sein Ende, sondern nie gewesen sein, möchte in die Ordnung der Zeit eingreifen. 

Schon hier finden wir das Motiv eines Streitens gegen und mit G'tt: sein ungerechtfertigtes Leiden setzt die ganze Schöpfung ins Unrecht 7). Damit diese wieder stimmig würde, darf dieser Tag nie gewesen sein. Psychologisch gesehen will er G'tt durch Selbst- Durchstreichung (oder Selbstaufgabe) ins Recht setzen, ein Vorgang, den wir von Traumaopfern mit massiver Selbstwertproblematik kennen.

Nun ist aber das Hiobbuch keine "Seelenbiographie" (v.Rad) wie G'tt nur Vater im metaphorischen Sinne. Wichtiger erscheint uns der Modus (die Art & Weise) wie Hiob seinen Wunsch / seine Forderung darstellt: er klagt und dies noch vor Zeugen. Dieses Klagen bringt nicht allein Schmerz, Affekt zum Ausdruck, sondern klagen meint auch anklagen im juristischen Sinne – im Fortgang der Reden wird dies noch deutlicher. Solche Deutung widerstreitet einer vorschnellen Analogie mit Traumapatienten.

Im Rahmen unseres Vortrages haben wir kaum die Zeit, den dreiteiligen Redegang der Freunde und die weiteren Klagen Hiobs im einzelnen zu besprechen:

Anfangs erfuhren wir vom sympathetischen Schweigen der Freunde; in ihren ersten Reden fordern sie Hiob behutsam auf, sich zu erforschen, umzukehren (Teschuva) und G'tt zu vertrauen, von dem kein Unrecht ausgehen könne. Sie belehren Hiob - ungeduldiger werdend – über die Größe G'ttes und die Folgen bösen Tuns. 

Im Umkehrschlußverfahren argumentieren sie dann später: da du leidest, mußt du gesündigt haben. Während sie anfangs noch Trost aussprachen, G'tt werde sein Leiden beenden, werfen sie Hiob am Ende die schlimmsten Untaten vor. 
So denn Hiob, fast ironisch antwortend: 

"Solcherlei habe ich viel gehört,
Tröster, die Mühsal bereiten, seit ihr alle. (...)
Auch ich könnte reden wie ihr;
wenn euer Leben anstelle meines Lebens wäre;
ich könnte kunstvolle Worte machen euch gegenüber
und meinen Kopf über euch schütteln."
(Hi 16,4 Ü:Ebach)

Im gleichen Kap. spricht er dann Worte über G'tt, die sich in dieser Härte kaum sonst noch in der Bibel finden lassen:

"Sein Wutschnauben ist es, das zerriß, er befeindete mich.
Er knirschte mit den Zähnen gegen mich: (...)
Ruhig lebte ich dahin, da hat er mich durchgeschüttelt,
er hat mich am Genick gepackt und mich zerstückelt. (...)
er zerriß mich, Riß auf Riß,
er rennt gegen mich an wie ein Kriegheld." 
(Hi 16,9ff Ü:Ebach

Verurteilt und gemartert; dieses "zerstückelt", "Riß auf Riß" läßt unwillkürlich an Franz Kafkas Erzählung 'In der Strafkolonie' denken, aber Hiob 'bietet G'tt die Stirn' (Elie Wiesel) und hält IHM entgegen:

"... keine Gewalttat klebt an meinen Händen
und mein Gebet ist lauter." (ebd.)

Hiob will seinen Lebensweg "vor seinem Angesicht zur Verhandlung bringen" (...)

"Schau: Ich schreie 'Gewalttat' und bekomme keine Antwort,
ich schreie um Hilfe und bekomme kein Recht." (Hi 19,7)
"... laß mich reden, und du wirst mir erwidern! (...)
Warum versteckst du dein Angesicht
und erachtest mich als deinen Feind ?" (Hi 13,15ff)

Das Hebräische erlaubt die unterstellte Verwechslung ganz eindrucksvoll: vertauscht man zwei Buchstaben (Jod u. Waw), so wird aus Ijow Ojew , dh. aus Hiob wird Feind.
G'tt ist Hiob nahe in der Ferne : Hiob klagt, fleht, fordert, ersehnt: "Warum versteckst du dein Angesicht" (ebd.) Oder wie es in den Psalmen heißt: 

"Rege dich! // warum schläfst du, mein Herr! // erwache! (...)
warum versteckst du dein Antlitz, (...)
Unsere Seele ist ja gesenkt in den Staub,
unser Leib klebt am Boden." (Ps 44,24ff)

G'tt ist aber zugleich fern in der Nähe : es ist die unverständliche Nähe des Peinigers, des Schmerzes. Vielleicht darf man auch so das "Du" im Psalm 139 lesen:

"du erforschest mich (...) 
du selber kennst mein Sitzen, mein Stehn,
Hinten, vorn engst du mich ein,
legst auf mich deine Faust.
Wohin soll ich gehn [vor deinem Geist], 
wohin [vor deinem Antlitz] entlaufen!"

Im Modus der "Ferne in der Nähe" 8) erfahren wir einen großen Bereich psycho- somatischer Symptome: 'nahe' sind sie als unhintergehbare Körper- oder Leib- phänomene und 'fern' in ihrer (so der therapeutische Optimismus) anfänglichen Unverständlichkeit.
Solange G'tt Hiob nicht antwortet, solange diesem nicht Gerechtigkeit widerfährt, darf seine Geschichte, sein Leiden nicht vergessen werden. So fordert Hiob – Worte, die wir auch am Mahnmal des Konzentrationslagers Bergen-Belsen lesen können:

"Erde bedecke mein Blut nicht,
und ohne Ort sei mein Schreien!" (Hi 16,18)

Hiob stellt sich gegen den gnadenlosen, Leid vergessenden Gang der Geschichte, dessen Nachhall wir ja noch in den vermeintlichen Trostworten: "Das Leben muß doch weiter gehen" (s.o.) hören. 

"Wer gäbe es doch – und meine Worte würden aufgeschrieben.
Wer gäbe es in der Schrift - und sie würden eingeprägt,
mit eisernem Griffel und Blei,
auf Dauer in Felsen würden sie eingehauen!?" (Hi 19,23f)

Geradezu beschwörend klingt diese Verbfolge: aufgeschrieben, eingeprägt, eingehauen. Eingemeißelt in Stein, soll die Klage/ Anklage übedauern – in der Hoffnung auf verständnisvollere Herzen in der Zukunft: so interpretiert Moshe Ben Nachman (RaMBaN) im 13.Jh 9)

Die Freunde, in ihrer selbstgewissen theologischen Dogmatik – so richtig sie als 'Lehrmeinung' auch sein mag – werden die Worte nicht aufschreiben und doch sind sie bewahrt in der "Schrift", der Bibel: WIR lesen sie ja gerade - hier - in diesem Augenblick. Diese 2.500 Jahre alte Geschichte packt uns heutige LeserInnen und webt uns - im Hoffen Hiobs - in ihren erzählenden Verlauf ein. Solange es Menschen gibt, die leiden wie Hiob, muß seine Geschichte gelesen, erzählt werden.

Die 'Rechtssache' Hiob gegen G'tt ist noch offen,
Hiob fordert anwaltliche Hilfe: 

Luther übersetzt [in Anlehnung an die lateinische Vulgata des Hieronymus]:

"Ich weiß, daß mein Erlöser lebt
er wird mich aus der Erden aufwecken" (Hi 19,25),

dabei handelt es sich weniger um eine Übersetzung, denn eine christologisch motivierte 'Er-setzung', deutlicher gesagt 'Verfälschung' des hebräischen Originals:

"Ich weiß, daß mein Löser (go'el – ) lebt
und sich zuletzt auf dem Staub erhebt" (ebd. Ü:Ebach

Go'el (  ) meint nicht Christus, sondern bezeichnet das Rechtsinstitut des Anwalts, des 'Auslösers' – wie Buber übersetzt. Der Go'el wird, so hofft Hiob, ihn 'auslösen' in dreifacher Hinsicht:

er wird Hiob aus Not und Bedrängnis 'erlösen';
er wird den Zustand des Rechts wiederherstellen und
er wird sich als eine 'Verwandter' Hiobs erweisen, dh. als ein
Nächster, der für ihn einsteht 10).

'Erlösung' meint erst recht nicht 'Erlösung durch den Tod' und entsprechend 'Auferweckung am Jüngsten Tag', auch wenn dies unser alltägliche, christlich geprägte Sprachgebrauch nahelegt. In der Hebräischen Bibel geht es um 'Erlösung' zum Leben, dh. Befreiung aus konkreter Bedrängnis.
Wir sagten 'Hiob streitet – im zwiefachem Sinne - mit G'tt', dh. 'mit' ihm 'gegen' ihn. ER [G'tt] ist ihm Ankläger, Anwalt und Richter ineins. Der Dialog mit den Freunden ist gescheitert; im dritten Redegang schweigt Zofar schon resigniert und auch das "Wutschnauben" Elihus, eines vierten Freundes, erreicht Hiob nicht wirklich.
Er wartet: 

"Da antwortete (Adonai – ) aus dem Wettersturm und sprach: 'Wer ist es, der den Plan verdunkelt
mit Worten ohne Wissen? (...)
Wo bist du gewesen, als ich die Erde gründete? (...)
Wer setzte die Maße – du weißt es ja (offenbar)?!"
(Hi 38,1ff)

Später wird Hiob sagen: 

"Vom Hörensagen hatte ich von dir gehört,
jetzt aber hat mein Auge dich geschaut." (Hi 42,5)

G'tt redet gewaltig aus dem Sturme; es geht hier schon um Mächtigkeit gegenüber dem 'Menschlein' – wie Buber oft übersetzt. Hier spricht nicht der 'nette Liebe Gott' von nebenan, der Versicherungen gegen Krankheit, Hausratschäden und Sinnverlust verkauft.

Wichtiger jedoch: ER spricht im Medium einer Schöpfungsgestalt – hier des Wettersturmes, wie sich nun – in der G'ttesrede - eine lange Folge von poetischen Naturbeschreibungen anschließt. Redet ER hier an Hiob mit der Arroganz des Mächtigen vorbei? – Gibt Hiob klein bei, wenn er sagt: 

"jetzt aber hat mein Auge dich geschaut,
Darum verwerfe ich und ändere meine Einstellung" (Hi 42,5.6)

Welche Einstellung verwirft - ggf. verwerfen wir mit - Hiob?
Erinnern wir den Anfang: Hiob verwünschte den Tag, da er zu Welt kam, dieser sollte nie gewesen sein. Sein Leiden setzt die ganze Schöpfung ins Unrecht. – Doch der Mensch ist nicht das "Maß aller Dinge", wie fast zeitgleich ein griechischer Philosoph (Protagoras) behauptete. 

G'tt begrenzte das Chaos, schied das Licht von der Finsternis [ethisch], die geordnete von der leeren Zeit und schuf Jegliches – wie es in Gen 1 heißt - "nach seiner oder ihrer Art"; nicht nach unseren Wünschen und Bedürfnissen anthropo-zentrisch zugeschnitten:

Der Löwe frißt die Antilope [denn Ende der Feindschaft, wo der Leopard beim Böcklein friedvoll lagern wird (Jes 11), wird es erst im messianischen Zeitalter geben]; das Plutonium von Tschernobyl wird mit einer Halbwertzeit von 24000 Jahren weiter- strahlen; "auf seine Art" wird auch ein Carzinom Organe zerstören und menschliches Leben enden lassen. Nicht alles ent-birgt sich unserer Verfügung und unserer Sinngebung.

Und doch ist diese Schöpfung nicht menschen-feindlich, wenngleich manchesmal menschen-widrig. Mit einer Blickwendung können wir die G'ttesrede auch als ein Werben G'ttes lesen: ein Werben für seine Schöpfung, ein Werben um Hiob; denn – wie es in einem Midrash heißt – auch G'tt trauerte als Hiob IHM ferne war, ihrer beider Beziehung auf dem Spiele stand.

Am Ende wird Hiob ins Recht gesetzt, denn er - nicht die Freunde - hat ...

"richtig von mir geredet" (Hi 42,8)

spricht G'tt.

Die Freunde belehrten Hiob, sie verweigerten sich seiner Not, nahmen seine klagende Anklage - gemäß dem Motto, "daß nicht sein kann, was nicht sein darf" - nicht ernst. 

Auf die Frage, was uns das Buch Hiob lehrt, antwortete schon vor ca. 900 Jahren der berühmte Kommentator RaShI (Shlomo ben Isaak): es lehre uns Freundschaft und ihre Grenzen, Sensibilität und das Achten auf den Ton unserer Rede. "Wir lernen mehr über das Wie als über das Was unserer Antworten, am meisten aber darüber, wie wir nicht antworten sollten" 11).

Das Buch Hiob antwortet nicht auf die Frage nach dem Grund, dem Zweck oder der Notwendigkeit dieses Leidens, gibt ihm keinen 'höheren Sinn' – es entläßt uns in die Verantwortung der Unterscheidung von Sinn, verstehbaren Zusammenhängen (in & mit denen wir arbeiten) und Nicht-Sinn, dem was sich unserem Verständnis & und unserer Verfügung entzieht, gleichwohl unsere Antwort fordert – im Hören der Klagen, der tröstenden Geste & ggf. im Schweigen. 

Freud sprach einmal kritisch von der Religion als der "Zukunft einer Illusion" und der psychotherapeutischen Arbeit als einer der Desillusionierung. Nach meiner Hiob-Lektüre – und damit komme ich zum Schluß meines Vortrages – kann ich mehr denn je der Aufforderung Freuds folgen: Was in der Therapie sich an Religiösität auflöst und sich als 'malignes Introjekt', 'Konfliktvermeidung' und 'Abhängigkeit' entbirgt, ist es wert, desillusioniert zu werden. Weder der 'Liebe Gott von nebenan' oder jener, der Sinn-Pflästerchen verkauft, noch der 'allwissende Big Brother' halten der Probe stand, jener Probe, in der Hiob seine Treue zu G'tt bewahrte.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit und Ihre Geduld

Anmerkungen

* Der Online-Text entspricht - bis auf kleine Abweichungen - dem Vortrag auf der Tagung
"Nachdenken über Hiob - Psychotherapie und Seelsorge im Gespräch über Trauma, Verlust und Trauer", am 15.03.00 -- Veranstalter: Abt. für Psychotherapeutische und Psychosomatische Medizin, Christliches Krankenhaus Quakenbrück (Chefarzt Dr. E. Schiffer) & Klinikseelsorge am Christl. Krankenhaus Quakenbrück (Frau Junghans-Maurer, Frau Zimmer)
Ort: Krankenhauskapelle ARCHE


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1 Ebach, J. (1996b): Streiten mit Gott - Hiob. Teil 2, Neukirchen-Vluyn, S.30
2 Vgl. Ders. (1996a): Streiten mit Gott - Hiob. Teil 1, Neukirchen-Vluyn, S.IX
Der Hiobkommentar Jürgen Ebachs (1996a & b) ist für Fachleute wie für interessierte Laien gleichermaßen ein höchst spannende Lektüre. Der Vortrag verdankt ihm wesentliche Einsichten. bestellen
3 Wiesel, E. (1980) Adam oder das Geheimnis des Anfangs, Freiburg-u.a., S.211
4 Vgl. Minnaard, G. (1999): Hiob und seine Freunde, in: Die Menora - Ein Gang durch die Geschichte Israels, Wittingen, S.180 (Eine vorzügliche Arbeit - mit CD-ROM, Dias & Folien - für Schule und Gemeinde; Bestellung über VLB-Katalog oder direkt bei EREV-RAV, Postfach 29 in 29379 Wittingen) online-version & Bestellung
5 Vgl. Ebach (1996a) S.20ff
6 Kierkegaard, S. (1843): Die Wiederholung, Frankf./M. 1984, S.61
7 Ebach, ebd., S.50f
8 Vgl. Waldenfels, B. (1999): Vielstimmigkeit der Rede. Studien zur Phänomenologie des Fremden 4, Frankf./M. S.33
9 Eisemann, R. M. (1994): JOB - A New Translation with a Commentary Anthologized From Talmudic, Midrashic, and Rabbinic Sources. New York, p.191
artscroll-bannerDie Artscroll Tanach Series zum Tanach (Hebräische Bibel) gehört zu den besten Quellen für die jüdische Schriftauslegung, die es gibt.
10 Ebach, ebd., S.165
11 Eisemann, ebd., p.XLIII

Alle Rechte der – auch auszugsweisen – Veröffentlichung © liegen bei R. Süsske
Für Anregunen & Kritik wäre ich sehr dankbar


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